Festsetzung der „ATLANTIC NAVIGATOR 2“ in Rostock

24. April 2024

Der Sachverhalt (der Presse entnommen)

Die ATLANTIC NAVIGATOR 2 befand sich auf dem Seeweg von St. Petersburg / Rußland nach Philadelphia / USA. Auf der Höhe Rostock kam es scheinbar zu einem Maschinen- oder Propellerschaden und der Kapitän entschied sich, den Hafen Rostock anzulaufen, um den Schaden beheben zu lassen. Da die Ladung des Schiffen neben Uran auch Birkenholz war, setzte der Zoll in Rostock das Seeschiff fest und eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen den Kapitän. Der Vorwurf lautet auf Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, da Birkenholz nach der Rußland-Sanktionsverordnung nicht in die Europäische Union verbracht werden darf.

Die Berichterstattung

Bereits die frei verfügbare Berichterstattung lässt aufhorchen. Häufig ist die Rede von einem „russischen Frachter“ (Rostock: Was es mit dem festgesetzten russischen Frachter »Atlantic Navigator II« auf sich hat – DER SPIEGEL v. 03.04.2024 oder Schifffahrt: „Atlantic Navigator II“ verlässt Rostock | ZEIT ONLINE v. 19.04.2024). Dabei ist zunächst richtig zu stellen, dass es sich bei der ATLANTIC NAVIGATOR 2 nicht um ein russisches Schiff handelt. Das Schiff ist vielmehr in Valletta / Malta registriert, fährt unter der Flagge der Marshall-Inseln und der Eigner die kanadische CISN Shipping Group. Das Schiff wird von der US-amerikanischen ARRC-Line betrieben (ARRC Line » Fleet). Interessanterweise ist der Sachverhalt auf der internationalen Seite der dpa – im Gegensatz zu der von DER ZEIT übernommenen Meldung – zutreffend wiedergegeben (Owner of cargo ship detained by German customs working for release).

Für den deutschsprachigen Raum muss also richtig gestellt werden: Das einzige „russische“ an diesem Sachverhalt ist, dass das Schiff aus Rußland kam und dort Waren geladen hat. Insgesamt scheint sich die deutsche Berichterstattung allerdings ausschließlich an den einseitigen Informationen zu orientieren, die das zuständige Hauptzollamt und die Staatsanwaltschaft preisgaben. Wenn man die letzte DIE ZEIT-Meldung liest (die einer dpa-Meldung entspricht), könnte durchaus der Eindruck des ungewollten behördenseitigen „framings“ entstehen.

Die rechtliche Einordnung

Den Sachverhalt allerdings (aus der Ferne und ohne Details zu kennen) auf die Füße gestellt, wird indes die spannende rechtliche Dimension erkennbar, die in der recht einseitigen deutschen Berichterstattung überhaupt nicht aufgegriffen wurde. Die Frage ist, wie die Festsetzungsverfügung und das Ermittlungsverfahren gegen den Kapitän der ATLANTIC NAVIGATOR 2 zu bewerten sind.

Zutreffend ist zunächst, dass das unmittelbare oder mittelbare Kaufen oder Verbringen von Birkenholz mit Ursprung in Rußland in die Europäische Union verboten ist (Art. 3i VO (EU) 833/2014 – „Rußland-VO“). Ein Kauf liegt hier nicht vor, also kann es sich bei der Einfahrt der ATLANTIC NAVIGATOR 2 in des Hafen Rostock nur um eine verbotenes Verbringen i.S.d. Rußland-VO handeln. Ein „Verbringen“ wird in der Rußland-VO nicht definiert. Nach allgemeinem zoll- und außenwirtschaftsrechtlichen Verständnis wird man aber den Realakt des tatsächlichen physischen Gelangens einer Ware in das Gebiet der Europäischen Union als Verbringen annehmen können. Insoweit wurde das Birkenholz tatsächlich i.S.d. Art. 3i Rußland-VO verbracht.

Allerdings ist die Prüfung nicht beendet. Denn es handelte sich bei der ATLANTIC NAVIGATOR 2 um ein Seeschiff, welches sich seerechtlich auf der sog. Durchfahrt durch das deutsche Küstenmeer befand (von St. Petersburg nach Philadelphia). Nach Art. 17 UN-Seerechtsübereinkommen ist die friedliche Durchfahrt durch Küstenmeere für alle Seeschiffe frei. „Durchfahrt“ bedeutet die zügige und ohne Unterbrechung erfolgende Fahrt durch das Küstenmeer (Art. 18 UN-Seerechtsübereinkommen). Und jetzt kommt das entscheidende: Die Durchfahrt schließt auch ein Anhalten wegen eines Notfalls ein. Grundsätzlich war das Anlaufen des Hafens Rostock also vom internationalen Recht auf friedliche Durchfahrt gedeckt, wenn es sich bei dem Maschinenschaden um einen Notfall i.S.d. Art. 18 UN-Seerechtsübereinkommen handelte. Hiervon ist auszugehen.

Vor diesem Hintergrund liegt bei einer seerechtskonformen Auslegung der europarechtlichen Rußland-VO kein verbotenes Verbringen des Birkenholzes in die Europäische Union vor. Das Anlaufen des Hafens Rostock war durch einen Notfall i.S.d. internationalen Seerechts gedeckt und die ATLANTIC NAVIGATOR 2 befand sich noch immer auf der friedlichen Durchfahrt. In der Folge wird das Ermittlungsverfahren gegen den Kapitän einzustellen sein.

Interessant sind noch zwei weitere Aspekte. Laut Pressemeldung soll es unklar sein, ob sich die ATLANTIC NAVIGATOR 2 den Hafen Rostock mit dem Birkenholz verlassen hat oder ob es auf Anordnung des zuständigen Hauptzollamtes entladen wurde. Aus den o.g. Gründen würde eine zwangsweise Entladung des Birkenholzes einen Verstoß gegen internationales Seerecht bedeuten, denn das Recht auf friedliche Durchfahrt wäre verletzt worden. Zudem soll die Staatsanwaltschaft laut Pressemeldung prüfen, ob der Kapitän eine Alternative zum Anlaufen eines deutschen Hafens gehabt hätte. Sollte diese Aussage stimmen, ginge die dahinterliegende Überlegung fehl. Denn das Verbringungsverbot der Rußland-VO gilt in der gesamten Europäischen Union. Bekanntlich sind allerdings alle Anrainerstaaten der Ostsee, mit Ausnahme von Rußland, Mitglieder der Europäischen Union. Trat die seerechtliche Notlage in Höhe Rostock auf, gab es für den Kapitän keine nautische Alternative, als den Hafen Rostock anzulaufen.

Bewertung

Die journalistische Darstellung der Geschehnisse rund um die ATLANTIC NAVIGATOR 2 lässt die spannende rechtliche Tiefe des Sachverhaltes kaum erahnen. Im Kern geht es weniger um russisches Birkenholz und einen vermeintlichen Verstoß gegen die Rußland-VO, als um die Bedeutung des internationalen Rechts auf friedliche Durchfahrt von Schiffen durch Küstenmeere. Es zeigt sich, dass die Darstellung und Bewertung von zoll- und außenwirtschaftsrechtlichen Sachverhalten in der Öffentlichkeit nicht nur der Behördenseite überlassen werden sollte, da dies zu Fehlinterpretationen und einem frühzeitigen „framing“ verleitet. Zugegeben, die Materie ist komplex, aber journalistisch falsch ist es definitiv, wenn von einem „russischem Frachter“ geschrieben und der Eindruck vermittelt wird, hier sei ein gravierender Sanktionsverstoß geschehen. Dies wird dem in einer Notlage handelnden Kapitän nicht gerecht. Ahoi.

Beratungsbedarf?